Dienstag, März 19, 2024
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Tanz der Technik

Die Künstliche Intelligenz verändert die Automobilbranche massiv. Das betrifft nicht nur die Mobilität von morgen. Auch in der Produktion ist die Innovationsgeschwindigkeit enorm.

Mensch und Maschine – seit der ersten industriellen Revolution stehen beide in einer faszinierenden, sich fortlaufend wandelnden Beziehung. Ein außergewöhnliches Beispiel dafür bringt demnächst das Staatstheater Augsburg in Form eines Balletts zur Aufführung. Im kommenden Herbst können Zuschauer dank einer Virtual-Reality-Brille von zu Hause aus die 360-Grad-Inszenierung „Kinesphere“ verfolgen, bei der 17 Tänzerinnen und Tänzer eine ganz besondere Hauptfigur in ihren Reihen haben: den Industrieroboter KR Iontec des führenden Automatisierungsspezialisten Kuka.

Tatsächlich gleicht der Blick in viele Industriehallen längst einem minutiös arrangierten Tanz der Technik. Und in keiner Branche ist dies so ausgeprägt der Fall wie in der extrem automatisierten Automobilindustrie, wo Roboterarmeen Türen, Motorhauben, Träger oder Kotflügel stanzen, schneiden und formen, die Einzelteile dann wie Puzzles zusammenfügen und dabei pro Auto rund 5000 Schweißpunkte setzen. Bei solchen und ähnlichen Produktionsschritten exerzieren Maschinen in der Regel mehrere Aktionen innerhalb einer begrenzten Zahl von Szenarien nach einem exakt definierten Muster.

Roboter, die mit Künstlicher Intelligenz arbeiten, folgen dagegen nicht nur Regeln, sondern sind in der Lage, selbstständig Lösungen für eine konkrete Aufgabe innerhalb eines bestimmten Problembereichs zu finden. Deep Learning heißt die zentrale Lernmethode der KI, mithilfe derer Maschinen die Welt als eine Hierarchie von Konzepten verstehen. Während eines Lernvorgangs werden sie immer komplexeren Konzepten ausgesetzt, die sie auf Grund früherer Erfahrungen mit einfacheren Konzepten verarbeiten.

Mehr Qualität. Optimierte Prozesse.

Im Smart Manufacturing liegt der Schwerpunkt des Einsatzes künstlicher Intelligenz derzeit in der Automatisierung repetitiver Aufgaben. Ein klassischer Anwendungsfall ist die Qualitätskontrolle von Unebenheiten, Beschädigungen oder Lackierungsfehlern, die trotz der hochpräzisen Fertigungsprozesse passieren können und gerade bei hochpreisigen Produkten wie Autos unbedingt vermieden werden müssen. Bis vor kurzem noch galt der Mensch als Goldstandard für diese Tätigkeit, da Kameras sich mit den komplexen Oberflächenstrukturen moderner Karosserien und Lichtreflexionen in der Montagehalle vergleichsweise schwertun. Doch Unternehmen wie Siemens haben diese Vorgänge unlängst auf eine neue Stufe gehoben: Dank eines KI-gesteuerten Kamerasystems lernen Roboter Beschädigungen in kleinsten Details zu erkennen. Zuerst wird ein virtuelles Modell des Fahrzeugs mit allen Oberflächenspezifika geschaffen, auf dessen Basis ein Algorithmus die optimale Kamerabahn inklusive aller Winkel und Neigungen berechnet. Mit ihr fährt dann ein Roboterarm das Auto von allen Seiten ab. Geht es um die Analyse der Bilder, weist eine weitere speziell trainierte KI-Applikation auf alle eventuellen Anomalien hin – und erkennt Fehler bis zu 90 Prozent genauer als Menschen. Und nicht nur das. Die „Surface Defect Detection“ lernt auch kontinuierlich dazu und ermöglicht auf dieser Grundlage Aussagen darüber, in welchen Fertigungsschritten Abweichungen vom Standard entstehen. Damit sichert die Qualitätskontrolle nicht nur das Ergebnis, sondern optimiert Prozesse insgesamt.

Dass KI den Automobilbau revolutionieren wird, gilt vielen Experten als sicher. In naher Zukunft wird sie nicht nur in großem Stil dazu beitragen, die Qualität zu steigern, sondern auch helfen, den Ausfall von Geräten zu minimieren – beispielsweise indem sie Datenmengen von Schwingungssensoren und anderen Quellen verarbeitet, um Anomalien zu erkennen und Probleme vorherzusagen. Ein weiteres Feld ist die Verschlankung und Flexibilisierung von Lieferketten: KI ist in der Lage durch maschinelles Lernen hochgradig exakte Bedarfsprognosen zu erstellen und auf unvorhergesehene Ereignisse ungleich schneller zu reagieren. Laut einer McKinsey-Studie können demzufolge durch KI-basierte Ansätze Prognosefehler um 30 bis 50 Prozent und Gesamtbestände um 20 bis 50 Prozent verringert werden, was eine Kaskade von Kosteneinsparungen nach sich zieht. Folgt man einer Untersuchung des Capgemini Research Institutes, können große Automobilhersteller ihr Betriebsergebnis insgesamt um bis zu 16 Prozent durch KI-Maßnahmen steigern.

Herausforderung für Rechenzentren

Solche und weitere Anwendungsfälle der Künstlichen Intelligenz in der Automobilindustrie beruhen auf der Verarbeitung von gigantischen Datenmengen – und auf entsprechender Rechenkapazität. Längst sind die Ansprüche so groß, dass sie von externen Spezialisten über die Cloud bereitgestellt wird. Das deutsche Unternehmen Northern Data repräsentiert in diesem Umfeld ein äußerst fortschrittliches Beispiel dafür. Gemeinsam mit Partnern baut es weltweit grüne Rechenzentren im High-Performance-Computing-Bereich und betreibt sie komplett aus einer Hand – inklusive der Anwender-Software, der Virtualisierung der IT-Ressourcen sowie der Möglichkeit, über mehrere Rechenzentren hinweg zu skalieren und auf diese Weise stets eine optimale Auslastung zu erreichen. Der Spezialist arbeitet aufgrund seiner Effizienz, selbst entwickelter Technologien zur Klimatisierung und viel Einsatz von Erneuerbaren Energien deutlich nachhaltiger als die Konkurrenz.

Bei Anwendungen mit besonders hoher Echtzeitrelevanz bekommt das Cloud Computing allerdings Konkurrenz durch digitale Knotenpunkte, die Rechenleistung dezentral zur Verfügung stellen. Vor allem selbstfahrende oder halbautonome Fahrzeuge, die unentwegt Informationen über ihre Umgebung brauchen, um auf die Verkehrslage oder unerwartete Ereignisse zu reagieren, profitieren von diesem sogenannten Fog beziehungsweise Edge Computing. Die Daten lassen sich bei diesen Varianten direkt im Fahrzeug oder in unmittelbarer Nähe an Übertragungsstationen berechnen, was unter anderem die Latenzzeiten und den Netzwerktraffic reduziert.

Der Aufwand für das Autonome Fahren ist jedoch so gigantisch, dass es so schnell nicht umfassend im Sinne eines „Computers auf Rädern“ zum Einsatz kommen wird. Nach Stephan Hönle, Senior Vice President Automated Driving Systems bei Bosch, sind mehrere 100 Billionen Rechenoperationen pro Sekunde nötig, um die Messwerte verschiedener Sensoren auszuwerten und die Fahrstrategie immer wieder neu anzupassen. Anders sieht es schon heute in der Intralogistik aus: In geschlossenen, verkehrsarmen Bereichen wie etwa Betriebshöfen, sind bereits fahrerlose LKW unterwegs. Bedenkt man, dass etwa 40 Prozent der Betriebskosten eines Nutzfahrzeugs auf das Personal fallen, sind hier bereits heute große Einsparungen möglich. Und das – so viel steht für Experten fest – ist erst der Anfang.

Louis Kuhnert
Louis Kuhnert
Louis ist seit Februar 2021 als Kampagnen- und Content-Manager bei Business.today Network tätig. Zuvor beendete er erfolgreich sein Journalismus-Studium und arbeitete u.a. für den Hamburger SV in der Medienabteilung.
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